Das mecklenburgische Selmsdorf, kurz vor den Toren Lübecks, hat eigenwillige Berühmtheit erlangt: Der Gemeinderat hat seinen Bürgermeister kollektiv vor Gericht geschleift. Warum? Detlef Hitzigrat soll nach hitziger Sitzung seinen Rat beim Feierabend-Bierchen mit den Worten "Da sitzen ja die Arschlöcher" begrüßt haben. Das Ende vom Lied: Wegen Beleidigung ist er zu einer Geldstrafe von 250 Euro verknackt worden.
"Richtig so", kommentiert Udo Bardowicks das A...-Urteil. "Nur weil sich die Gemeindevertreter nicht nach dem Willen des Bürgermeisters verhalten haben, muss man sie nicht kollektiv beleidigen", sagte der Traventhaler Bürgermeister, für den sich Kraftausdrücke insgesamt "nicht schicken". Entsprechend großen Wert legt der 60-Jährige auf eine gepflegte Streitkultur. "Wenn wir im Gemeinderat diskutieren, kann es sehr kontrovers und hitzig werden. Nur bleibt alles im Rahmen."
Darauf legt auch der durchaus streitbare Geschendorfer Bürgermeister gesteigerten Wert: "Denken kann man ja vieles, aber sagen niemals", so Fritz Kock. Auch der 67-Jährige wurde schon einmal heftig verbal attackiert, allerdings nicht aus den Reihen der drei Fraktionen, sondern von einer Bürgerin. Der Fall endete vorm Schiedsmann. Sprechen möchte Kock über die Anfeindungen nicht mehr: "Die Frau hat sich entschuldigt - und man muss auch vergessen können."
An Ausreißer wie in Selmsdorf kann sich Ronald Wiedekamp, Bürgermeister in Pronstorf, in seinem Dorf nicht erinnern. Der 63-Jährige hat allerdings Verständnis für seinen Mecklenburger Amtsbruder: "Dass man sich beim Bier schon 'mal im Ton vergreift, ist nur menschlich." Die Reaktion des Gemeinderates sei überzogen, zumal es andere Möglichkeiten gebe: "Ich hätte ihn mir gekrallt und gesagt ,Hör 'mal zu, mein Freund, so geht das nicht. Wir leben in einer Demokratie und da muss man andere Meinungen akzeptieren.'" So würde es auch Klaus Vogt aus Klein Gladebrügge praktizieren: "Letztlich disqualifiziert sich derjenige, der zu verbalen Attacken unter der Gürtellinie ansetzt, doch selbst", so der 61-Jährige.
Kurt Böttger, Bürgermeister in Wakendorf I, spricht von feinen Nuancen, die über die Wertung böser Worte entscheidend sind. "So was kann doch auch spaßig gemeint sein. Wenn ich mit bestimmten Leuten schnacke, dann bezeichnen wir uns auch schon 'mal als ,blöden Hund'", sagt der 61-Jährige. Allerdings: Die humoristischen Grenzen sind sehr individuell: "Ich musste mich auch schon einmal entschuldigen, weil jemand meine Flapsigkeit falsch verstanden hat", so Böttger. Sein Motto: "Wer mich als Arschloch titulieren würde, bekäme eine passende Antwort. Und im Zweifelsfall würde ich eine Nacht drüber schlafen. Am nächsten Tag sieht die Welt mitunter nämlich ganz anders aus." Und was seine Gemeindevertreter betreffe, so diskutiere man zwar gern, aber sachlich. "Problematisch wird's nur, wenn jemand Sache und Person nicht auseinanderhalten kann."
Übrigens: Rainer Andrasch und Thomas Dziuk, Verwaltungsleiter des Amtes Trave-Land, beschwören, sich an keine einzige verbale Entgleisung bei Gemeinderatssitzungen erinnern zu können. "Wir sind halt sehr diszipliniert", so Dziuk.