Geschichte des MTB


Mountainking

Marin County - Kalifornien, USA - hier begann die Geschichte des Mountainbikes.

Im Winter des Jahres 1973 rasten Gary Fisher und Joe Breeze zum ersten Mal auf alten Fahrrädern die Schotterwege des 850 Meter hohen Mount Tamalpais hinunter. Ihre Räder hatten mit den heutigen Mountainbikes jedoch nicht viel gemeinsam. Sie wogen locker 20 kg, waren aus Stahl und eine Gangschaltung war nicht zu finden. Wollten die MTB-Pioniere den Berg hinauf, mussten sie schieben. 

Gary Fisher und Joe Breeze waren Radrennfahrer. Doch weshalb entwickelte sich die Idee zu einem geländegängigen Berg-Fahrrad ausgerechnet in Kalifornien? Gary deutet über das weite Land von Marin County und vermutet: "Wahrscheinlich ist es die besonders geeignete Landschaft hier, mit all den Hügeln, Pfaden und Schotterwegen. Aber es sind auch die richtigen Leute zur richtigen Zeit zusammengekommen."

Neben Gary Fisher und Joe Breeze müssen auch noch Charlie Kelly und
Tom Ritchey genannt werden. Charlie und Gary wuchsen in den sechziger Jahren in San Francisco`s Haight-Ashbury-Hippie-Szene auf.
Als Mitt-Zwanziger sehnten sie sich nach einem ruhigeren Leben außerhalb der Großstadt und zogen in das knapp 5000 Einwohner beherbergende Nest Fairfax, ca. 30 Kilometer nördlich von San Francisco.

Gary war seit seinem 13. Lebensjahr leidenschaftlicher Radrennfahrer. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt in einem Fahrradgeschäft. Charlie arbeitete als Roadie für die Rock´n Roll-Band "The Sons Of Champlin".

Joe Breeze wohnte in der Kleinstadt Mill Valley, die nur wenige Kilometer von Fairfax entfernt lag. Wie bei Gary waren sein Hobby und sein Beruf eng mit dem Fahrrad verbunden. Breeze arbeitete, ab und zu als, ausgebildeter Fahrradbauer und nahm an Wochenenden viel an Radrennen teil.

Charlie, Gary und Joe waren Mitglieder im selben Fahrrad-Verein. Woche für Woche fuhren sie, auf ihren Bikes, etliche Kilometer. Als sie eines Tages etdeckten, dass ein paar junge Freaks aus der Gegend auf alten Schwinn-Fahrrädern aus den 30er Jahren die Schotterwege des Mount Tampalais herabrasten, spotteten sie anfangs nur.

"Ersten näheren Kontakt mit den scheinbar geländegängigen Zweirad-Oldtimern machten wir bei einem unserer Clubmitglieder, Mark.", erinnert sich Gary. Das ca. 40 Jahre alte Bike des Freundes hatte einen geschwungenen Stahlrahmen und "lief" auf dicken Ballonreifen. 1932 holte der amerikanische Fahrradhersteller Ignatz Schwinn, nach einer Europareise, die ersten Ballonreifen aus Deutschland in die USA und brachte kurze Zeit später das Modell Schwinn Cruiser auf den Markt. In Anlehnung an die Formen eines Motorrades besaß das Bike geschwungene Rahmenrohre.

"Unser Eindruck war, dass diese Fahrräder doch total uneffizient seien", räumt Gary Fisher heute ein. Doch eine Ausflug auf Marks bequemem Drahtesel bewirkte Wunder. Schon nach kurzer Zeit waren Gary, Charlie und Joe überzeugt: "Die Dinger machen verdammt viel Spaß!" Besonders die gemütliche Sitzposition und der gute Fahrkomfort, aufgrund der breiten Reifen, hatten es den härte- und krampfgewohnten Straßenradrennfahrern angetan. 
 

Bikes vom Altwarenhändler: Für eine Handvoll Dollar

Beim Altwarenhändler machte sich Charlie sofort auf die Suche nach ein paar vergessenen Exemplaren der alten Cruiser - und wurde fündig. Er erstand zwei total verrostete, aber intakte Räder. Die Renaissance-Bikes besaßen keine Gangschaltung und waren ausschließlich mit einer Rücktrittbremse ausgerüstet. Trotzdem organisierten die Vereinsmitglieder immer häufiger gemeinsame Ausritte ins Gelände. Als Höhepunkt dienten regelmäßige Downhill-Fahrten vom Mount Tamalpais.

Ein alter Pick-Up brachte die Freunde auf den Berg und dann düsten sie wieder ins Tal - wenn das Material hielt. Rahmen-, Lenker- und Gabelbrüche waren Normalität. Darüber kann Gary Fischer heute noch lachen:" Oft ist die Hälfte von uns mit total ramponierten Rädern zurückgekommen."

Die Ersatzteil-Versorgung wurde in der Gegend um Fairfax immer komplizierter. Charlie, Gary und Co mußten immer weiter ausschwärmen, um Ersatzeile zu besorgen.

1976 war die Zeit für den ersten Wettkampf gekommen. Charlie organisierte eine Serie von Abfahrtsrennen auf dem Hausberg von Fairfax. Der Kurs, die ca. drei Kilometer lange Cascade Canyon Fire Road, wurde schon bald auf den Namen "Repack" umgetauft. Die Rücktrittbremsen der alten Bikes wurden auf den Abfahrten so stark strapaziert, dass das Fett aus den Naben qualmte und diese im Ziel neu geschmiert (englisch: repacked) werden mußten. Das, alle zwei bis drei Wochen ausgetragene, Rennen war ein Mekka für Mountainbike-Innovationen.
 

Qualmende Bremsen im Ziel: Repack

Joe Breeze und Gary Fisher - die Schnellsten unter der Repack-Gemeinde - kamen immer wieder mit neuen Ideen zu Bike-Modifikationen. Sie tauschten die bruchanfälligen Lenkerstangen durch stabilere Motorradlenker aus. Die Rücktrittbremse am Hinterrad ersetzte Gary durch eine Trommelbremse. Für Bremshebel und -kabel bevorzugte man stabile Magura Motorrad-Komponenten.

Einen wesentlichen Impuls setzte Gary Fisher, als er eines Tages mit einer Fünf-Gang-Kettenschaltung an seinem Bike auftauchte. "Die anfängliche Skepsis, ob diese Konstruktion den Offroad-Strapazen auch wirklich gewachsen sein würde, verflog schnell", triumphierte der Erfinder und es dauerte nur wenige Tage, bis alle anderen Clunker ebenfalls mit Touren- oder Straßenkettenschaltungen nachgerüstet waren.

Es wurde lange daran gearbeitet, wo die Schalthebel am besten angebracht werden sollten.

Das Problem bestand darin, dass die Fahrer bei holprigen Wegen keine Hand vom Lenker nehmen wollten, um den Gang zu wechseln. Wieder einmal war es Gary, der mit seiner Lösung des Problemes überzeugte: Er montierte Daumenschalter.

Gary und Joe waren die Antreiber für immer neue technische Entwicklungen, Charlie hatte eine andere wichtige Rolle inne, er machte die Idee bekannt. Die Organisation der Repack-Rennen fiel ebenfalls in seinen Aufgabenbereich. Da er in seinem Job viel Freizeit hatte, schrieb er über Mountainbikes.

Sein erster Artikel über die Fahrrad-Szene in und um Fairfax wurde in einer großen amerikanischen Fahrrad-Zeitschrift veröffentlicht. Nach mehreren Anläufen gelang ihm dann auch die Publikation einer ähnlichen Geschichte im amerikanischen Outside-Magazin. Die Resonanz war enorm und die Mountainbike-Philosophie wurde weit über die Grenzen von Marin County bekannt.

Kelly gründete 1981 seine eigene Zeitschrift, das "Fat Tire Flyer Magazine", das erste Mountainbike-Magazin der Welt. Charlie regte 1977 den Bau eines speziellen Rahmens für Gelände-Fahrräder an. Er bezahlte dem gelernten Rahmenbauer Joe Breeze ein paar hundert Dollar und bat ihn, ihm einen geländetauglichen Rahmen zu schweißen.


Das erste Custom-Made-Bike der Geschichte

Die Rahmengeometrie des alten Schwinn Excelsiors von 1933 - 1941 wurde übernommen.

Joe stellte Festigkeitsberechnungen für Chrom-Molybdän-Stahlrohre an und entschied sich, zwecks besserer Stabilität, Versteifungsrohre an das Rahmen-Hauptdreieck und die Gabel zu schweißen.
 
Das erste Custom-Made-Bike der Geschichte war geboren, mit einem Gewicht von über 16 Kilogramm. Auf drängen seiner Freunde entschloß sich Joe, zehn weitere, identische Bikes zu bauen, die er für 750 Dollar pro Stück verkaufte. Da er für die Bikes neun Monate brauchte, belief sich sein Stundenlohn auf etwa 50 Cent.

750 Dollar für ein neues Bike konnte sich Gary damals nicht leisten, deshalb blieb er bei seinem guten alten Schwinn Excelsior. Dank seiner guten Kondition gelang es ihm immer noch, allen anderen davonzufahren. Ungefähr zwei Jahre nach nach Joes Selbstbauvorhaben kam Gary mit eigenen Ideen zu einem speziellen Mountainbike-Rahmen.

Gary`s Wunsch-Bike sollte ein "offenes" Rahmen-Dreieck besitzen, um es in schwerem Gelände tragen zu können. Joe hatte allerdings sehr wenig Zeit und somit machte sich Gary auf die Suche nach einem anderen Rahmenbauer. Er fand Tom Ritchey aus Redwood City, einem Ort rund 50 Kilometer südlich von San Francisco.

Gary gab ihm die Design-Pläne und nur drei Wochen später hatte Tom drei Rahmen fertig. Jeder von ihnen wog eineinhalb Kilogramm weniger als Joes. Gary war begeistert und bestellt sofort zehn weitere Rahmen. Er bot Tom an, den Verkauf für ihn zu übernehmen. Da Fisher sehr gute Kontakte zur gesamten Fahrradindustrie unterhielt, war es für ihn einfach, taugliche Straßen- und Tourenrad-Komponenten aufzutreiben und die Räder zu vervollständigen. Ende 1979 schlossen sich die Ritchex und Fisher zusammen und gründeten eine eigene Vertriebsfirma für Ritchey-Bikes.


Mountainbike, woher stammt dieser Name?

Bis dato existierte für das Offroad-Velo der Kalifornier noch kein eigenen Name. Die alten Schwinn-Bikes wurden zwar auch Clunker, Ballooner oder Bomber gennant, doch für ein neues Fahrrad-Modell auf dem Markt erschienen diese Bezeichnungen ungeeignet. Fisher setzte schließlich den Namen Mountainbike ins Leben.